Jainas, Sikhs, Muslime

Jainas, Sikhs, Muslime
Jainas, Sikhs, Muslime
 
Zu den wichtigsten Religionen Indiens gehören neben dem Hinduismus und dem Buddhismus der Jainismus, der sich wie der Buddhismus aus einer Denkrichtung des Hinduismus entwickelte, der Islam, den im 7./8. Jahrhundert zunächst arabische Händler, ab dem 12. Jahrhundert die türkischen und später die mongolischen Eroberer mit nach Indien brachten, und die Religion der Sikhs, die im 15. Jahrhundert versuchte die Ideen des Hinduismus und des Islam zu vereinen.
 
Der Begründer des Jainismus, Vardhamana Mahavira (= der große Held), war ein Zeitgenosse des Buddha (5.-4. Jahrhundert v. Chr.) und entstammte einem Kshatriya-Geschlecht in Vaishali (Bihar). Wie Buddha verließ auch er mit fast 30 Jahren Frau und Kind, um als Asket durch Meditation und Selbskasteiung den Weg zur Erlösung zu finden. Als er dieses Ziel nach zwölf Jahren erreichte, wurde er zum Jina (= Sieger), der die Welt überwunden hatte, zum Tirthankara (= Furtbereiter). Bis zu seinem Fastentod im Alter von 72 Jahren wanderte er, seine Lehre verkündend, durch die Reiche der Gangesebene. Die ältesten Nachrichten, die wir über den Jainismus haben, stammen aus buddhistischen Schriften, die von den besonders strengen Auffassungen von Askese berichten, die der Jina Mahavira vertrat. Die Anhänger des Jina werden als Jainas (= »zum Jina gehörig«) bezeichnet.
 
Mahavira verkündete wohl keine ganz neue Lehre, sondern fasste die Anschauungen einer schon bestehenden asketischen Bewegung zu einem dogmatischen System zusammen. Der Jina beanspruchte wie seine mythischen 23 Vorgänger als »Furtbereiter« gekommen zu sein, um den Lebewesen den Weg zur Erlösung zu predigen. Seine Vorläufer lebten allerdings, mit Ausnahme des 23. Tirthankara Parshvanatha, der 250 Jahre vor dem Tod des Mahavira im Alter von 100 Jahren gestorben sein soll, in längst vergangenen Weltperioden. Eine von Mahavira eingeführte Neuerung scheint die besonders strenge Observanz des Nacktgehens gewesen zu sein. Als Höhepunkt eines Asketenlebens sah er das von ihm selbst vorgelebte Fastensterben an.
 
Nach der Lehre des Jina stehen sich in der Welt das Geistige und die ungeistige Materie gegenüber. Das Geistige besteht aus einer unendlichen Zahl von Einzelseelen, die unbeschränktes Schauen, Erkennen, unbeschränkte Kraft und Wonne besitzen. Diese Eigenschaften sind nur bei den Seelen, welche die Erlösung erlangt haben, ungehemmt vorhanden. Bei den übrigen sind sie durch die Verstrickung in den Geburtenkreislauf gehemmt. Durch jede Betätigung fließt in die Seele feine Materie ein, die als Karma bezeichnet wird und welche die Seele an den Geburtenkreislauf bindet. Um die Erlösung aus dem Geburtenkreislauf zu erlangen, muss einerseits verhindert werden, dass neues Karma in die Seele einfließt. Gleichzeitig muss das bereits eingedrungene Karma vernichtet werden. Dies Gelingt am besten durch Selbstkasteiung und Askese. Die Seele soll dadurch von jeglichem Karma befreit werden, um dann zur höchsten Stätte des Weltraums emporzusteigen, wo sie in einem Zustand ewiger Seligkeit verharren kann. Das Ziel der Erlösung aus dem Geburtenkreislauf kann nur in der streng asketischen Lebensführung eines Mönchs oder einer Nonne verwirklicht werden. Jeder Jaina, ob Laie oder Mönch, verpflichtet sich, die fünf Großen Gelübde einzuhalten. Diese umfassen das Gebot der vollkommenen Schonung alles Lebendigen, das Verbot von Lüge und Diebstahl sowie die Gebote sexueller Enthaltsamkeit und Besitzlosigkeit oder Vermeidung überflüssigen Besitzes. Der Jaina-Kanon wurde lange nur mündlich überliefert und soll erst im 5. Jahrhundert n. Chr. endgültig schriftlich niedergelegt worden sein.
 
Der von den Nandas und Mauryas, den Herrschern Magadhas, geförderte Jainismus breitete sich nach Orissa, Rajasthan, Gujarat, in den Dekhan und nach Maisur aus. In diesen Gebieten sind auch heute noch die meisten der 3 Millionen zählenden Jainas zu finden. Im 1. Jahrhundert n. Chr. kam es zu der Spaltung in zwei heute noch bestehende Richtungen, die Shvetambaras (= Weißgekleidete) und Digambaras (= mit den Himmelsrichtungen Bekleidete). Während die Shvetambara-Mönche weiße Gewänder tragen, haben die Digambaras die von Mahavira aufgestellte Vorschrift des Nacktgehens beibehalten. Die Jainas im Süden sind in der Regel Digambara. Unter dem Einfluss des Islam entstand zusätzlich die Richtung der Sthanakavasin, die jeglichen Tempelkult und Bilderdienst ablehnt. Diese Gruppe, deren Anhänger sich in Gemeindehäusern (»sthanaka«) versammeln. ist heute besonders in Pandschab verbreitet.
 
Der Islam erreichte den indischen Subkontinent auf mehreren Wegen. Ab dem 7./8. Jahrhundert liefen arabische Händler indische Küstenorte an, in denen sie sich niederließen; dorthin brachten sie auch ihre Religion. Die kriegerischen Invasionen begannen mit der muslimischen Eroberung des Sind (711/12) von Beluchistan aus. Über Afghanistan und den Nordwesten Indiens drangen in den nächsten Jahrunderten immmer wieder muslimische Eroberer nach Indien ein. Während des Delhi-Sultanats im 13. Jahrhundert erlebte die muslimische Herrschaft einen ersten Höhepunkt, bis schließlich im 16. Jahrhundert die Mogul-Kaiser ihr Reich (1525-1803) errichteten, mit Delhials Machtzentrum. Schon während des Delhi-Sultanats kamen islamische Mystiker (= Sufis) als Missionare nach Indien. Die Ablehnung der Kastenschranken machte den Islam vor allem für die unteren Schichten der Hindu-Bevölkerung interessant. In der Folge breiteten sich die ersten großen Sufi-Orden in Indien aus. Die Ordensvorsteher wurden in den Rang von Heiligen erhoben und gewannnen als Verkörperung der rechten Religion große Autorität. Ihnen wurden wie den indischen Asketen übernatürliche Kräfte und die Macht, Wunder zu tun, zugeschrieben. Nach ihrem Tod ging diese Macht auf ihr Grabmal und den persönlichen Nachfolger über. Auch andere hinduistische Einflüsse wurden im indischen Sufismus wirksam, wie etwa die Praktiken des Yoga in der indisch-islamischen Mystik. Einflussreich wurde auch die Übersetzung der Upanishaden durch Dara Shukoh (✝ 1666), den Sohn des Mogul-Kaisers Shah Jahan. Die mystische Bewegung fand Anhänger bis in die höchsten Kreise und erreichte unter Kaiser Akbar durch die Schaffung seiner aus Hindusimus, Christentum und Islam gemischten »göttlichen Religion« im 16. Jahrhundert n. Chr. einen Höhepunkt. Aus den Kreisen der traditionellen Mystik erhob sich jedoch Widerstand gegen diese religiöse Mischform. Ahmad Sirhindi (✝ 1624), durch dessen Einfluss die Sunniten die Unterstützung der Mogul-Kaiser gewannen, führte einen gereinigten Monotheismus ein.
 
Die meisten Muslime Indiens sind Sunniten, das heißt Anhänger der Richtung des Islam, die sich auf den Koran und die maßgebenden Aussprüche und Handlungen des Propheten Muhammad, die Sunna, beruft. Die Schiiten kamen erst durch die Einwanderung muslimischer Familien aus Persien und Zentralasien im 12. und 13. Jahrhundert nach Indien. Im Gegensatz zu den Sunniten vertreten die Schiiten den Glauben an die Vererbung der prophetischen Fähigkeiten und des Amtes als Imam, als geistliches Oberhaupt der Gemeinde, innerhalb der Familie des Muhammad.
 
Als Reformbewegung des Hinduismus und als Versuch, zwischen Hinduismus und Islam zu vermitteln, entstand der Sikhismus. Er wurde von dem aus Lahore stammenden Nanak (* 1469, ✝ 1539) gegründet. Guru Nanak wandte sich gegen den Bilderdienst und Ritualismus des Hinduismus und verkündete einen Glauben an einen einzigen Gott, den zu bezeichnen aber vermieden werden soll. Alle Wesen verdanken ihr Leben diesem Glauben gemäß dem Willen des Ewig Seienden. Nur der Weg liebender gläubiger Hingabe (»bhakti«) und das Bekenntnis des göttlichen Namens und das Meditieren darüber (»nam«) führen zum Erkennen des Gottes. Dieser befreit den Gläubigen reiner Lebensführung von Karma und Samsara (= Kreislauf der Wiedergeburten). Unter den neun folgenden Gurus vermehrte sich die Zahl der Sikhs (= Schüler), und die ursprünglich rein religiöse Glaubensgemeinschaft entwickelte sich immer mehr zu einer politischen Kraft. Der vierte Guru gründete das religiöse Zentrum der Gemeinde, den Goldenen Tempel in Amritsar, der dann vom fünften Guru Arjun Dev weiter ausgebaut wurde. In diesem Heiligtum wird die aus den gesammelten Dichtungen des Guru Nanak und seiner Nachfolger sowie aus Schriften muslimischer und hinduistischer Heiliger zusammengestellte heilige Schrift der Sikhs, der Granth Sahib (= Herr Buch), aufbewahrt. Die zunehmende politische und religiöse Auseinandersetzung mit den islamischen Herrschern führte unter dem zehnten und letzten Guru, Gobind Singh (* 1675, ✝ 1708), zu einer straffen militärischen Ordnung der Sikh-Gemeinschaft. Allen Namen der männlichen Sikhs wurde die Bezeichnung Singh (= Löwe) hinzugefügt, den weiblichen Kaur (= Prinzessin, Löwin). Außerdem schrieb Gobind Singh eine genaue Kleiderordnung vor und ließ seine Anhänger schwören, die fünf »Ks« zu befolgen, das heißt die Haare (»kesh«) niemals zu schneiden, das Haar mit einem Kamm (»kangha«) hochzustecken, einen Eisenarmreif (»kara«) zu tragen, immer einen Säbel mitzuführen (»kirpan«) und eine der Soldatenuniform der Zeit entsprechende kurze Hose (»kuccha«) zu tragen. Vor seinem Tod setzte Gobind Singh statt eines menschlichen Nachfolgers die heilige Schrift »Granth Sahib« als Guru ein. Unter dem Herrscher Ranjit Singh (* 1780, ✝ 1839) erlebte der Sikhismus im Pandschab eine Blütezeit, die jedoch nach den militätischen Auseinandersetzungen 1845/46 und 1848/49 mit der Herrschaft der Briten endete.
 
Dr. Siglinde Dietz
 
 
Sivaramamurti, Calambur: Indien. Kunst und Kultur. Übersetzung und Bearbeitung der deutschen Ausgabe von Oskar von Hinüber. Freiburg im Breisgau u. a. 41987.

Universal-Lexikon. 2012.

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